Erinnerungen an die 1960er Jahre in Glückstadt


Beitrag:

Karl-Heinz Brüggmann

Die Werksbahn der Peter Temming AG in den 60ern

Damals, in meiner Schulzeit hatte ich oft das Vergnügen, dass die normalspurige Werksbahn-Lokomotiven meinen Schulweg überquerten. Die Arbeit auf dem Südteil der Werksbahn wurde von einer feuerlosen O&K 3794 Dampfspeicherlok mit der Achsfolge B bewältigt. Die neue Lok in hellgrün mit rotem Fahrwerk erhielt Temming 1917 und wurde mit dem Abdampf der Papierfabrik betrieben.

O&K Dampfspeicherlok 7394 der peter Temming AG
Entwurfskizze der Temming O&K 7394 Dampfspeicherlok

Die Bahnstrecke verlief vom Anschlussgleis der marschbahn mit einem Holzbohlenprellbock an der Nordmarkstraße, vor dem Bahnübergang Herzhorner Rhin, querte dann im spitzen Winkel die Straße, nach der es dann ein Ausweichgleis gab. Danach folgte eine Brücke über den Fluss Schwarz Wasser. Der weitere Verlauf ging dann zur Stadtstraße, wo sie nach deren Überquerung das Firmengelände an der Brake erreichte. Beide Seiten der Straßenquerung waren jeweils durch ein Metalltor gesichert. Dann gingen die die Gleise in einem 90 Grad  Rechtsbogen an mehreren stillgelegten Abstellgeleisen vorbei, wo auch die beiden alten US-Güterwagen vor sich hin rosteten, dirket zur Fabrik. Ob es eine Verbindung zum Nordteil der Werksbahn gab, kann ich mich nicht erinnern.

Peter Temming AG Gleisanlagen
Die abgestellten US-Güterwagen auf dem Temming-Gelände.

Der Nordteil, der zum Teil als Dreischienengleis  (Normalspur und 600 mm Schmalspur) ausgeführt war, wurde auf der Normalspur von einer zweiachsigen Deutz Diesellok bedient. Hierzu konnte ich weder ein Bild noch Angaben finden, so dass ich hier nur meine Erinnerungen wiedergeben kann. Es könnte sich um eine Deutz A3M 420R gehandelt haben. Die Dunkelgrüne Diesellok mit der Achsfolge B hatte einen Stangenantrieb mit Blindwelle in der Fahrzeugmitte. Auf jeder Seite war unter dem Umlauf ein Luftbehälter. Das Führerhaus hatte vorn und hinten je drei runde Fenter (Bullaugen).

Peter Temming Werksbahn
Arbeitsskizze der Temming-Diesellok nach meinen Erinerungen.

Die Strecke verleif auf der Westseite der Stadtstraße, die überquert wurde. Auf der Ostseite gab es eine interessante Gleisanbindung von der ich leider keine Bilder habe. Das Gleise verleif einmal normalspurig in einem Linksbogen hinter der damligen Brennstoffhandlung Lübcke zur Hafenbahn, wo eine Verbindung zur Marschbahn bestand. Nach rechts ging es als Dreischienengleis weiter auf dem Firmengelände. Die Schmalspur überquerte dann noch eine Brücke über den Fluss Rhin.

 

Von der schmalen Spur gab es auf dem Firmengelände ein ganzes Netz. Die wohl wichtigste Verbindung bestand zu dem firmeneigenen Brückenkran am Binnenhafen, wo in großen Megen Lintersballen von Schiffen zur Lagerstättetransportiert wurden. Die Linterballen sind Baumwollfasern, ein Rohstoff für die Papierherstellung.

 

Die größten Schiffen die öfters entladen wurden, waren damals die GEIER und die HABICHT der Argo Reederei Bremen.

 

Auf den 600 mm Gleisanlagen standen Dieselloks zur Verfügung. Seit den 50er Jahren 2 Henschel Typ B-dem 600 mm. Mir ist noch eine ähnliche, längere Ausführung mit 3 Achsen in Erinnerung. Die gesamte Streckenführung der 600 mm Gleise ist heute leider nicht mehr völlig nachvollziehbar.

Biotop Papierfabrik?

Ein Sohn der Temmings war damals ein Klassenkamerad von mir. So war ich öfter in der Temmingvilla zu Gast. Dann haben wir zusammen auch das Fabrikgelände erkundet.

 

Was mir damals besonders auffiel, war das  das große Artenvorkommen  auf dem Gelände,  was man ja eigentlich nicht für möglich hält. Es gab ja so viele Areale, wo sich kaum ein Mensch hin verirrte.  Besonders sind mir die zwei US-Güterwagen in Erinnerung, die seit der Nachkriegszeit keiner mehr bewegt hatte. Sie waren eine Brutstätte für einige Vogelarten und beheimatete verschiedene Insekten, die sich auch in großer Zahl auf dem Gelände tummelten. Dort traf man auch auf Heuschrecken und Grashüpfer in  allen Variationen, verschiedene Schmetterlingsarten,  auf Hummeln, Bienen und mehr. An sonnigen Ecken wo alte Rohre lagen, hatten Eidechsen ihre Heimat.

 

Auch an Gräser und Blütenpflanzen gab es viel zu entdecken. In alten Klärteichen hatten sich Rohrkolben angesiedelt. Die von Temming angelegten Pappelwälder warteten auch mit einem Artenreichtum auf. Dort traf man auf  Insekten und Vögel, die man zuvor nie gesehen hatte.

 

Die Exkursionen auf dem Firmengelände wurden so doch nicht nur wegen der Technik zu einem beeindruckenden Erlebnis.

Eine Besonderheit gab es eigentlich für jeden sichtbar direkt an der Rhinbrücke, vor dem Verwaltungsgebäude  von Temming.  Dort stand eine große Trauerweide, die als Ansitz von den bunt schillernden Eisvögeln genutzt wurde, die in der steilen Uferböschung brüteten.

 

In den Uferrewgionen von Rhin und Schwarz Wasser, deren Verlauf durch das Firmengelände führt, zogen verschiedene Arten von Wasservögeln ihre Jungen auf.

 

Nebenbei bemerkt:

Ein weiteres Biotop war das Außendeichgelände von Temmings "Kakaograben" bis hin zum Schleuer. Es war ein von Prielen durchzogenes Grünland, was für die Rinder- und Pferdehaltung, sowie für die Heuernte genutzt wurde. Hier waren nach der Sturmflut 1962 durch die Deicherneuerung große Teiche entstanden die sich zu einem Anglerparadis entwickelt hatten.

 

Ein breiter Streifen vor dem Schilfgürtel am Elbufer wurde im Frühling zu einem gelben Blütenmeer durch die unzähligen Sumpfdotterblumen. Die Flächen für die Heuernete wurden durch viele Blütengewächse zu einem Paradis für Insekten und wir Kinder brachten so manchen Blumenstrauß nach Hause. Nie werde ich vergessen wenn ich am Deich saß, oder mich dem Fischfang widmete, wie die Feldlerchen trillernd über dem Gelände standen und viele Kibitze auf dem Gelände brüteten und ihr Ruf weit zu hören war. Hier fanden auch viele Wasser- und Watvögel ihre Heimat. Lustig waren die Jungen der Teichhühner mit ihren großen Füssen.

 

Dieses Paradis gibt es inzwischen nicht mehr, wurde es Ende der 70er, beginn der  80er Jahre  als Spühlfeld für die Elbbaggerei genutzt.

Wie mir Temmings "Kakaograben zum Verhängnis wurde

Es war in der vierten Klasse. Auch wenn ich mir Mühe gab, und schöne Bilder im  Mal-und Zeichenunterricht  gestaltete, waren die Zeiten für einen Zweier und gar einen Einser bei dem neuen Lehrer vorbei. Mit der Begründung, Ich würde die Vorstellungen des Lehrers  Herr M. (auch Käpten M. genannt) nicht erfüllen.

Eines Tages erhielten wir die Aufgabe, ein Bild von Temmings Kakaograben, wo die Abwässer der Papierfabrik durch Rohre über den Deich in einen Graben geleitet wurden, der dann in die Elbe mündetet, zu gestalten.

 

Dieser Bereich gehörte  damals mit zu unserem Abenteuerspielplatz Außendeichgelände. Es war spannend, wenn das warme Abwasser mit hohem Druck in verschiedenen Farben (oft braun) aus dem Rohrkrümmer donnerte und eine mächtige Schaumdecke erzeugte. Bei starkem Wind wurde diese auseinandergetrieben und die Schaumflocken verteilten sich  weiträumig auf dem Gelände. Bei Sturm schafften die Schaumflocken  den Weg  sogar über den Deich. An der Einmündung in die Elbe wurden damals viele Aale gefangen.

 

Mein fertiges Bild war damals in etwa so, wie das von 2020, das ich hier zeige.

Die über den Deich führenden Abwasserrohre der Papierfabrik Temming führten in den 1960er Jahren in einen Graben zur Elbe. Dieser wurde auch als "Kakaograben" bezeichnet.
Die über den Deich führenden Abwasserrohre der Papierfabrik Temming führten in den 1960er Jahren in einen Graben zur Elbe. Dieser wurde auch als "Kakaograben" bezeichnet.

Das Ergebnis war, eine Vier für das Bild. Es war bis dahin die schlechteste Zensur, die ich in meiner bisherigen Schulzeit je für ein Bild bekommen habe.

Damit ließ mein Interesse an dem Unterrichtsfach für das Schuljahr erheblich nach, was dann in einer Sechs für das Fach Malen und Zeichnen im Zeugnis endete und mit einer zweiten schlechten Zensur eine Versetzung in die fünfte Klasse verhinderte. Auf einer Art kann man etwas Positives darin sehen, denn unter einem anderen Lehrer gab es dann meistens Einser und bei einem Malwettbewerb der Schule zu den Glückstädter Matjeswochen im Jahr danach, erreichte ich den zweiten Platz der  mit einem Buchgeschenk honoriert wurde.

 

Was aus dem Kakaograben geworden ist kann ich nicht genau sagen, denn mit dem Ende der Schulzeit bin ich nicht mehr da gewesen. Jedenfalls wurden einmal die Rohre verlängert. Dann wurde die Firma Peter Temming AG von Steinbeis Papier GmbH  übernommen.  Auf jeden Fall soll das Ganze heute etwas versteckt, kurz vor der nördlichen Seite des Hafens,  in die Elbe münden.


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